[Metalab] Weltwirtschaftskrise
Peter Kuhm
peter at null.priv.at
Fri Nov 27 03:47:58 CET 2020
Dieser Text wurde vor 87 Jahren in einer Regionalzeitung gedruckt.
Als unabhängiges Nachrichtenblatt berichtete es aus der Region
unter dem Namen: Triestingtaler und Piestingtaler Wochen=blatt.
5 Jahre später, 1938 war der Tenor dann ganz anders. Da gabs
plötzlich breite Beschäftigungsverheissungen.
(Und auch die Straßen wurden dann auch im Osten auf Rechtsverkehr
umgestellt.)
Tja, mit solchen kapitalismuskritischen Einsichten hätte sich
die Welt auch anders entwickeln können, wenn die akbild nicht...
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Weltwirtschaftskrise in Zahlen
Obgleich heute fast jeder Mensch durch die Weltwirtschaftskrise
in Mitleidenschaft gezogen ist, machen sich doch die wenigsten
einen Begriff von der ganzen Furchtbarkeit der Krise. Man ermißt
die Ungeheuerlichkeit der Krise jedoch erst dann, wenn man ihre
Ausdehnung kennt, wenn einem bewußt wird, wie sehr das Leben der
ganzen Menschheit durch sie beeinflußt, das will sagen,
verschlechtert wird. Und erst in diesem Bewußtsein wird man
ermessen, wie fluchbeladen und wie unhaltbar das kapitalistische
Wirtschaftssystem ist, das zwangsläufig immer wieder zu solchen
Krisen führen muß. Es muß zwangsläufig immer wieder zu Krisen
führen, weil selbst jeder Fortschritt, den die Menschheit geht,
innerhalb dieses Systems zu Schlechten der Menschheit ausschlägt.
Das Wesen der heutigen Krise, die nun in fortwährender
Verschärfung bereits seit dem Herbst 1929 dauert, besteht darin,
daß die Möglichkeit, Güter und Einrichtungen zu schaffen,
phantastisch gesteigert worden ist, während gleichzeitig das
Vermögen der Menschheit, Güter und Einrichtungen zu erwerben,
unerhört herabgesetzt wurde.
Fluch statt Segen.
Die Rationalisierung, die Verbesserung der Maschienen und
Arbeitsverfahren, hat die Ergiebigkeit des modernen Wirtschafts-
apparates zauberhaft vergrößert, aber sie hat zugleich Millionen
und Millionen arbeitslos gemacht und vom Bezug aller Güter
ausgeschlossen. Bis vor dem Krieg konnte die europäische
Wirtschaft ihre Erzeugnisse in den überseeischen Ländern
absetzen; während des Krieges aber haben sich diese Länder
teils selbständig gemacht, teil andere Lieferanten gesucht,
vor allem Amerika und Japan; abgesehen von diesen Verschiebungen
ist die gesamte moderne Wirtschaft durch den technischen
Fortschritt heute auf eine Höhe gelangt, gegenüber der die
sogenannten äußeren Märkte für die Aufnahme der Waren nicht
mehr genügen. Sie würde es auch nicht, wenn sie nicht durch
politische Wirren, durch Zollkriege und ähnliche Umstände in
ihrer Bedeutung sehr herabgedrückt wären.
Die moderne Wirtschaft wirft, kurz gesagt, eine solche
Fülle von Waren aus, dasß sie diese Waren nur dann absetzten
könnte, würde sie der Arbeiter, der sie hervorbringt, selbst
erwerben können, würden nicht mehr äußere Märkte gesucht,
sondern die inneren in ihrer Kaufkraft gestärkt. Das heißt:
würde die Arbeitslosigkeit durch die Herabsetzung der
Arbeitszeit aus der Welt geschafft und die Kaufkraft jedes
Arbeiters durch die Hebung der Löhne gesteigert. Daß die
Kapitalisten dazu nicht bereit sind, weil es ihren Profit,
wenn nicht aufheben, so doch empfindlich verkleinern würde,
ist die Ursache des fortdauernden Massenelends.
Wie groß ist das Krisenelend?
Die Zahl der Arbeitslosen in den verschiedenen Ländern beträgt:
Vereinigte Staaten von Nordamerika . . 13,000.000
Großbritanien . . . . . 3,500.000
Frankreich . . . ... . 400.000
Italien . . . . .. . 1,100.000
Schweden . . .. . . 100.000
Dänemark . . .. . . 100.000
Niederlande . . . . . 150.000
Belgien . . . . . . 400.000
Deutschen Reich . . . . . 6,500.000
Österreich . . . .. . 400.000
Tschechoslowakei. . . . .. 500.000
Polen . . . . .. . 400.000
Japan . . . . . . 500.000
Australien . . . .. . 200.000
Übrige Welt . . . . . 2,000.000
Jeder Dritte leidet Mangel.
Das sind also rund 30 Millionen Vollarbeitslose zu denen
mindestens 70 Millionen Kurzarbeiter zu zählen sind! Will
man ermesse, was für ein unvorstellbares Elend hinter diesen
Zahlen liegt, dann muß man sich erinnern, daß nach der
statistischen Erfahrung zu jedem dieser Arbeitslosen oder
dieser Kurzarbeiter durchschnittlich zwei Familienmitglieder
zu rechnen sind, was eine Summe von 300 Millionen Menschen
ergibt, die am Notwendigsten Mangel leiden!
Zieht man noch in Betracht, daß auf der ganzen Erde
zwar zwei Milliarden Menschen leben, im Bereich der
modernen Wirtschaft aber nur 900 Millionen, dann ist die
furchtbare Tatsache offenbar, daß jeder Dritte in dieser
zivilisierten Menschheit unter dem Lebensminimum steht.
Und Nahrungsmittel werden vernichtet!
Diese Menschennot ist um so unerträglicher, als die
Menschheit in ihrer Gesamtheit nicht über einen Mangel an
Gütern zu klagen hat, sondern geradezu über einen Überfluß.
Den 300 Millionenen Notleidenden stehen Berge von Gütern
gegenüber, die seit Jahren unverkäuflich sind, die seit
Jahren in den Magazinen, Speichern und Silos liegen,
verderben und vernichtet werden. Man nennt das die
Vorratsstauung auf den Weltmärkten. Sie betrug Ende 1932:
Millionen Meterzentner
Weizen, unverkäuflich . . . . 130
Zucker, unverkäuflich . . . . 72
Kaffee, unverkäuflich . . . . 15
Englischer Tee, unvrkäuflich. . . . 2
Baumwollem unverkäuflich. . . . 18
Kautschuk, unverkäuflich. . . . 6
Steinkohle, unverkäuflich . . . 200
Aber diese Vorratsstauungen, dieses Liegenbleiben
lebensnotwendiger Güter, wird beim Reis ebenso verzeichnet
wie beim Mais, bei der Kunstseide ebenso wie bei allen
Metallen. Diese unerhört verelendete Menschheit hat von
allen Waren zu viel! Man stelle sich nur diese irr-
sinnigen Gegensätze vor: den Arbeitslosen, der mit einem
verschlisssenen Sack hinter einem Kohlenwagen herläuft
und jedes herunterfallende Stück Kohle aufliest und auf
der anderen Seite die riesigen Halden, auf denen
200 Millionen Meterzentner eben dieser Kohle seit
Jahren unverkäuflich daliegen. Man denke an die
Millionen, die nicht genug Brot haben, und stelle sich
vor, daß 130 Millionen Meterzentner Weizen in den
Speichern verfaulen!
Aber die Gegensätze innerhalb des kapitalistitschen
Wirtschaftssystems sind ja noch weitaus gräßlicher. Die
Waren bleiben nicht nur liegen, sie werden auch vernichtet.
In Java wirft man tausende Tonnen Zucker ins Meer,
in Indien wird der Tee nicht mehr abgeerntet,
in Amerika läßt man Obst auf den Bäumen verfaulen,
in Holland wird Schlachtvieh ersäuft und
in Brasilien sind 1932 über drei Millionen Säcke
Kaffee zu je 60 Kilogramm verbrannt worden.
Aber auch die Erzeugung von Gebrauchsartikeln wird
gewaltsam eingeschränkt. Mehr als 40 Prozent aller
Fabrikanlagen, also fast die Hälfte, liegen heute still.
Diese moderne Welt bietet das Bild einer grauenhaften
Lähmung: in den Häfen liegen die Schiffe, kalt und ohne
Regung; auf den Frachtbahnhöfen stehen quadrat-
kilometerweit die Wagen und rosten, und fast jede
zweite Fabrik ist gesperrt. Man muß an die Sage von
dem alten König Midas denken, dem alles, was er
berührte, zu Gold wurde, und der inmitten seines
uferlosen Goldes verhungerte, weil ihm auch das Brot
zu Gold wurde.
Der Profit hungert die Massen aus.
Seit einem Jahrtausend hat nun die abendländische
Menschheit ihre Einrichtungen ununterbrochen verbessert
und immer mehr Quellen des Reichtums aufgeschlossen,
aber auf dem Gipfelpunkt der Entwicklung verfällt sie
in einem namenlosen Elend, weil zwischen der an Gütern
unerschöpflichen Erde und den arbeitenden Händen das
privatkapitalistische Unternehmertum steht, das die
gerechte Aufteilungm die allgemeine Aufteilung der
Güter verhindert.
Kurze Arbeitszeit würde genügen!
Wie herrlich das Leben jedes einzelnen Menschen
bei einer gerechten Aufteilung der Güter sein könnte,
haben erst vor kurzem die unter dem Namen Technokraten
bekannt gewordenen amerikanischen Ingenieure
ausgerechnet: würden nur die Jahrgänge zwischen 25 und
45 arbeiten, und zwar nur drei Stunden an jedem
Wochentag, dann könnte jeder von uns, würden alle
technischen Hilfsmittel ausgenützt und niemand
bevorteilt, ein zehnmal so gutes Leben haben als in
der kapitalistischen Welt, selbst wenn sie von Krisen
frei wäre!
--- snap ---
Triestingtaler und Piestingtaler
W o c h e n - B l a t t
Unabhängiges Nachrichtenblatt
Nr. 39 | 30 September 1933
--http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tpw&datum=19330930&seite=6
--http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tpw&datum=19330930&seite=7
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